Meet me at the cemetery gates 

(Teil 2) ... Ab und zu hochblickend bemerkte ich dann, aber nur mehr so am Rande, dass sich beide an einem Grab gleich schräg gegenüber zu schaffen machten. Ganz genau weiss ich hingegen noch, dass die Frau sich dann einmal entfernte, wohl, um Wasser zu holen, und das kleine Mädchen, ich schätzte es auf etwa drei bis vier Jahre, ganz alleine zurückblieb, sitzend, auf dem Randstein eines angrenzenden Grabes. Ich schaute nun etwas länger und genauer hin; das Mädchen, ganz still und nachdenklich auf dieses – wie ich erst jetzt bemerkte: relativ frische, noch namenlose – Grab blickend, an dem sich beide eben zu schaffen gemacht hatten; kein Blick in meine Richtung, oh nein, obwohl ich doch einigermassen auffällig herumhantierte… mitten in diesen unverbindlichen Betrachtungen kehrte die Mutter mit einer vollen Giesskanne zurück – und dann, nach einer kurzen Zeit, diese Frage, die mich elektrisierte: „Mammy, why did Daddy die?“
Das durfte doch wohl nicht wahr sein; wenn doch "nur" der Grossvater gemeint gewesen wäre, hätte ich das ja noch so einigermassen hinnehmen können, aber…
a.more.s völlig perplex.

An diesem wunderschönen Frühlingstag fühlte ich mich ganz plötzlich ziemlich erbärmlich, ziemlich verwirrt, tat nach aussen jedoch sehr geschäftig, ich wollte nicht den Anschein erwecken, als ob ich zuhörte; ich weiss auch nicht, was die Mutter antwortete – nach einer Weile wagte ich wieder aufzublicken: die Mutter, neues Wasser holend, das kleine Mädchen wartend, genau wie vorhin, nachdenklich und still, vielleicht zu verstehen versuchend… und dann die nächste Frage, die mich wieder ganz unfreiwillig, aber voll erwischte: „Mammy, what is cancer?“
Ich konnte mich nicht mehr auf Vera & Vladimir konzentrieren, ich tat zwar weiterhin so wie wenn, doch das kleine Mädchen dort schräg gegenüber hatte mich vollständig aus dem Konzept gebracht… wenn ich denn überhaupt so etwas wie ein Konzept gehabt hatte.

Auch die folgende Antwort bekam ich nicht mit – die beiden Fragen des kleinen Mädchens waren derart niederschmetternd, dass sie ständig in meinem Kopf nachhallten. Ich weiss nur noch, dass ich, einer Eingebung folgend, plötzlich die kleine, unauffällige, schnelle Kamera in der Hand hielt und versuchte, diesen Moment festzuhalten, damit ich später in anderen Momenten (wie sie bei mir ab und zu vorkommen), in denen ich manchmal selber fast nicht glauben kann, was ich alles erlebt habe, nicht weiss, ob ich geträumt habe, wenigstens ein reales BILD hervornehmen und SEHEN kann, dass da doch etwas dran sein MUSS…
Ich erinnere mich glasklar, dass ich das kleine, tapfere Mädchen, nachdem es zum Schluss mit einer zweiten Giesskanne selber auch beim Giessen mitgeholfen hatte, noch ein drittes Mal etwas sagen hörte: „Bye bye, Daddy!“ Ganz natürlich, ganz ernsthaft, und ganz schicksals-ergeben – ich war den Tränen nahe. Wirklich.

Ging mir ähnlich, als ich damals dieses Bild aufnahm. Und eben auch.
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